Ein Lustspieldramolett für einen oder drei Schauspieler



Kriminalrat Obonski.

tippt murmelnd. Als er fertig ist, nimmt er das Papier und legt es vor den Anton Wodrasek, tippt mit dem Finger darauf Mmm!


Wodrasek.

nimmt das Papier, sieht die Polizisten an, räuspert sich, liest

Zeugnis des Anton Wenzel Wodrasek, Doktor der Psychologie, wohnhaft 02464 (Sero dwa schteri scheschtsch schteri) Posnan, Boimärleh 18 (oschem naschtsche). Polizeidienststelle Krakow am See am 22 November 2003. In Anwesenheit von Kriminalrat Marek Obonski, 2. (drugi) posterunek polizii Posnan und Polizeimeister Johann Schulz.

bedauernd zu den Polizisten Ich werde meinen Beruf nicht mehr ausüben.


Schulz. Tscha.


Wodrasek. Nun.

liest Die langwierige und ausdauernde Konditionierung auf das Erkennen, Spezifizieren und Strukturieren von Fehlleistungen und systematisierten Ängsten von... - Patienten ist auf mich zurückgeschlagen. Das Schlimmste, was ich mir hätte antun können und tat, war, die Menschen verstehen zu können. Dass ich dabei auch mich verstehen kann, hat keinen Einfluß auf mein Verhalten. Hierbei wirkt nicht Abscheu oder Verachtung gegen Kleingeist und Schwäche der - Patienten, sondern vielmehr eine automatische Identifikation. Die Psyche der - Patienten in meiner Behandlung substituiert mein Selbst, ersetzt mein Ich. Durch eine Art psychoaktiver Osmose gelangen Muster der von mir analysierten - Kunden durch mein sensorisches System in den Teil des zerebralen Kortex, der die Persönlichkeit ausmacht, verändern die bestehende Matrix und damit mich. So wird jedes der von meiner Couch aus abgesonderten Phänomene zu einem Teil von mir. Ich kann das nicht verhindern. Ich sehe mich durch die Situation gezwungen, mich über Bestandteile der ärztlichen Schweigepflicht hinwegzusetzen. Eine - Kundin berichtete von Beeinträchtigungen ihres sozialen Verhaltens, ihrer Freiheit im Umgang mit Mitmenschen, entstehend durch eine fortwährende Angst vor den Eindruck, den andere von ihr haben könnten. Ihrem Abbild in den Köpfen anderer.

Zu den Polizisten Verstehen Sie? Nein? Hmh. Na. ja. Hier auf frühkindliche Ursachen einzugehen, brächte wohl keine Erhellung mit sich.

weiterlesend Nach den ersten Sitzungen beobachtete ich an mir, dass ich mich fragte, wie ich wohl von meinem Sekretär Titot Androsz aufgenommen würde. Ich wußte seine Blicke nicht zu deuten, glaubte später, seine Anwesenheit nicht mehr ertragen zu können, und verstieg mich darauf, meinem treuen Mitarbeiter ohne Angabe von Gründen zu kündigen. Späterhin konnte ich kaum mehr einkaufen, ohne von Schweißausbrüchen begleitete, rasende Angst vor dem Urteil des Kioskfräuleins zu haben. Selbstverständlich nutzte ich baldmöglichst einen Vorwand, die - Kundin an einen... - Kollegen zu verweisen und einige Wochen später verschwand diese Eigenart, der ich noch wenig Bedeutung beimaß. Folgenschwerer waren die Nebenerscheinungen der psychischen Betreuung von - Resoz... verzeihung, Resoz... verzeihung-


Schulz. Resozialisierungsmaßnahmen.


Wodrasek. Danke.

liest ...der psychischen Betreuung von - Resozialisierungsmassnahmen labiler Strafgefangener im Staatsgefängnis Posnan. Dies war ein mit einigem Renommee behafteter Auftrag, auf den ich lange hin gearbeitet hatte. Ich war bis dato Mitglied der Partei und hatte mir keine Verfehlungen gegen die sittlichen Gesetze zuschulden kommen lassen. Zu gleicher Zeit behandelte ich einen Mann, der wiederholt Vorgesetzte angegriffen hatte, einen manischen Trickbetrüger und einen homosexuellen Exhibitionisten. Wenig später konnte ein Kunde, ein untersetzter älterer Herr, der zudem eine gewisse Ähnlichkeit mit meinem Stiefvater aufwies, nur mit knapper Not aus der Praxis flüchten, nachdem ich mich nackt und laut schreiend auf ihn gestürzt hatte. Die Brieftasche habe ich ihm selbstverständlich nachgesandt. Die Polizei konnte ich überzeugen, dass dies eine unkonventionelle Methode wäre, den Mann mit seinen Ängsten zu konfrontieren. Über den Vorfall mit den Handschellen sahen sie zu meiner Erleichterung hinweg. Dass ich im Kasino nun Hausverbot hatte, störte mich kaum. Nach diesen Erlebnissen sah ich den nächsten Begegnungen mit einem gewissen Sammlerehrgeiz entgegen. Dem Termin 10.00 Uhr Amtsgerichtskonferenzraum mit Slawomir Berbel, dem Mitte der 70er Jahre wegen Erpressung in Tateinheit mit Geiselnahme und Totschlag verurteilten Mafiapaten -

zu den Polizisten Erinnern Sie sich? Darf ich einfügen, dass dies der interessanteste Fall war?


Obonski. Nej. Mmm.


Wodrasek. - folgte um 13.00 Uhr Ilona Maja Slonskaja, eine charmante, reife Dame mit Selbstmordversuchschüben. Diese traten vornehmlich nach dem Erwerb mehrerer Kleider der Größe 36 auf, die ihr nach der Geburt mehrerer Kinder und dem Genuß mehrerer Stücke Torte nicht mehr passen konnten. Um 17 Uhr lag die bedauernswerte Gaja Maschenkaja, eine verzweifelte Mutter von Zwillingsmädchen auf dem Sofa, den Töchtern warf sie all ihr Unglück und den Verlust von Jugend, Attraktivität und sexuellem Begehr vor. Der Vater war mit einer Klassenkameradin der Töchter davongelaufen.

räuspert sich Darf ich?


Schulz. Mit hochgezogenen Brauen Man to.


Wodrasek. Dreht sich eine Zigarette und raucht Was ich dann abends tat, erinnere ich nur sehr ungenau.


Obonski. Mmh?


Wodrasek. Denken Sie an Hieronymus Bosch, La Divina Commedia, Luis Bunuel...


Schulz. Wat? Sün dat noch mehr Patienten von Ihnen?


Wodrasek. legt die Zigarette ab, zu den Polizisten Nu, stellen Sie es sich vor als verworrenen französischen Film, der die Möglichkeiten halluzinogener Drogen willkürlich mit den Errungenschaften moderner Collage verknüpft, dessen Ausführung den Rahmen eines amtsüblichen Protokolls sprengen möchte.


Schulz. Na, se wern no veel Tied hem för dissen Bericht. Jungedi, der hat ausgesehen, as wir den gefunn hett. Mann in ne Tünn!


Obonski. Mmm! tippt auf das Papier, geht um den Tisch herum


Wodrasek. nimmt Zigarette, liest Am nächsten Morgen wurde ich vom Polizeibeamten Schulz weinend, betrunken, die nackten Arme mit Schnittwunden verziert, in einem blutigen Frauenkleid, das mir nicht passte und schwer bewaffnet in einer Grundschule in Krakow am See aufgegriffen. Was ich dort wollte, weiß ich nicht. Unterschrift: Anton Wenzel Wodrasek. legt Stift und Zettel beiseite, nimmt Zigarette, raucht ungewiß.


Obonski. Soll man versuchen den Menschen zu verstehen? Mmm!